Schiller-Quest.com

Die Suche geht weiter ... Lange Reisen ist Christopher von Deylen gewohnt. Für sein letztes Album „Sehnsucht“ fuhr er in einem alten Volvo Amazone 20.000 Kilometer von Berlin nach Kalkutta. Nun geht der Komponist auf Expedition. Mit dem Forschungsschiff „Polarstern“ ist er seit dem 10. Juli in der Arktis unterwegs. Als Mitglied eines Teams um Dr. Volker Ratmeyer vom MARUM, dem Bremer Zentrum für Marine Umweltwissenschaften, packt er mit an, wenn es gilt, die Einsätze des Tauchroboters QUEST durchzuführen. Zudem dokumentiert der Künstler mit Kamera und Camcorder die Aktivitäten an Bord in einem Blog (siehe unten). Unterwegs auf einem modernen Forschungseisbrecher in einer faszinierenden Landschaft – das ist eine spannende Herausforderung. – Am 3. August wird die Expedition unter der Leitung von Dr. Michael Klages vom Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Reykjavik/Island zurück erwartet.

Mittwoch, 29. Juli 2009

HAKON MOSBY



die polarstern befindet sich nun seit fuenf tagen ueber dem unterwasser-schlammvulkan hakon mosby. jeden tag gegen 18:00 beginnt ein neuer tauchgang. jede mission dauert im schnitt 14 stunden. gegen 10:00 uhr des folgetages steht der quest wieder sicher auf dem arbeitsdeck der polarstern. nach kleineren wartungsarbeiten und dem ausgedehnten 'pre-dive-check' ist das rov dann bereit fuer den naechsten tauchgang. das wetter ist durchwachsen. regen, dichter nebel und strahlend blauer himmel wechseln sich ab. es ist aber insgesamt etwas milder geworden, die temperaturen bewegen sich ueber dem gefrierpunkt.

SCHICHT UM SCHICHT


um unser pensum bewaeltigen zu koennen, werden die missionen im schichtbetrieb 'gefahren'. es gibt drei schichten, die jeweils vier stunden dauern. von zwoelf bis vier uhr, von vier bis acht uhr, und so weiter. man arbeitet also alle zwoelf stunden fuer jeweils vier stunden. ich bin zusammen mit patrick und volker im 'team a'. meine schichten beginnen um 08:00 uhr und um 20:00 uhr. dazwischen habe ich jeweils acht stunden 'frei'. anfangs etwas ungewohnt, kann man sich mittlerweile gut darauf einstellen. das übrige rov-team widmet sich in dieser zeit den
reparaturen einzelner geräte, dem aufbereiten der daten des jeweiligen tauchgangs für die wissenschaft, und natürlich dem aussetzen und bergen des rov - dazu werden
immer mehrere teams benötigt. anh, christian und marcel vom 'team c' haben die vier-uhr-schicht erwischt. da ist man dann schon wesentlich weiter vom normalen tagesrhythmus entfernt. aber es gibt ja die espresso-maschine. und tina (krankenschwester und stewardess in der messe auf dem c-deck) hat uns freundlicherweise ein survival-kit mit cappucino, bechern und schokolade zusammengestellt.

ich versuche, die zeit zwischen den schichten gut einzuteilen. genug zu schlafen, ist ein schwieriges unterfangen. wenn ich um mitternacht noch voller anspannung aus dem abgedunkelten kontroll-container ins grelle sonnenlicht der polaren sommernacht falle, ist an bettruhe nicht zu denken. sitze dann noch fuer eine weile bei dem nachfolge-team in unserem provisorischen winden-kontrollraum, bevor ich mich in meine koje lege. um sieben uhr klingelt der wecker, eine halbe stunde spaeter sitze ich beim fruehstueck. chiefstewardess moni fragt 'wie immer?' - 'ja, wie immer.' - zwei spiegeleier 'hochkant'. dazu ein becher heisser tee. um acht uhr ist schichtbeginn.

mittlerweile habe ich viele facetten der rov-arbeit kennengelernt, und es gibt nach wie vor jeden tag etwas neues zu entdecken. ich sitze im container und steuere die hochaufloesende kamera vom quest, bediene die grosse seilwinde oder fliege das rov ueber dem meeresgrund - weiche landung inklusive.

HOCHAUFGELOEST AM MEERESBODEN


die high-definition kamera vom quest liefert wirklich beeindruckende bilder. auf dem flachbildschirm im van kann man in postergroesse und hoechster aufloesung seesterne und tiefseegarnelen bewundern, die in natura nur wenige zentimeter gross sind. mit der sensiblen zoom- und schaerfenregelung versuche ich, ein moeglichst klares bild zu bekommen. bei starken zoom-einstellungen und grosser blende betraegt die tiefenschaerfe nur wenige millimeter. vor allem bei leichten bewegungen muss die schaerfe permanent nachgeregelt werden. trotzdem gelingt es uns, kleinste methangasblasen zu filmen, die hier am hakon mosby aus dem meeresboden austreten. ich druecke 'record' am hd-recorder, und wir schneiden die besonders interessanten passagen mit. so schoen und abwechslungsreich der blick von oben auf die wasseroberflaeche ist, so atemberaubend ist die welt, die darunter liegt.


HIEVEN UND FIEREN


beim 'windendienst' muss man sich sehr konzentrieren, damit das kabel nicht zu starken spannungen ausgesetzt wird. laestige verwindungen koennen die folge sein. auch der umgekehrte fall von 'zu viel' kabel kann zu verdrehungen fuehren. man muss also fortwaehrend auf das richtige verhaeltnis aus kabellaenge und tauchtiefe achten. als richtwert versuchen wir, mit 30-45 metern kabel-spiel zu arbeiten. nicht immer einfach, da die position der polarstern bei starker stroemung leicht variiert, und man mit dem quest mitgehen muss, da sonst zu viel zug entsteht. die winde wird via fernbedienung gesteuert, auf der sich ein joystick, ein paar tasten und eine anzeige befinden. auf ihr werden die gefierten (abgelassenen) meter angezeigt, sowie das tempo in dem gefiert oder gehievt (eingeholt) wird. im schnitt wird beim ab- und auftauchen mit einer windengeschwindigkeit von 25 metern pro minute gearbeitet. dabei bewegt sich der quest mit seinen thruster-propellern aus eigener kraft. er wird also nicht hinuntergelassen und wieder hochgezogen. das kabel wird lediglich der tauchgeschwindigkeit angepasst mitgefuehrt.

WEICHE LANDUNG



am samstagabend konnte ich den quest beim missionsbeginn fliegen. nach dem launch gehe ich mit volker in den container, patrick ist an der winde. in der ladebucht ('porch') des quest ist eine unterwasserkamera des wissenschaftler-teams aus frankreich verstaut. sie soll am hakon mosby ueber den zeitraum von einem jahr das wachstum von boden-bakterien ('bakterienmatten') dokumentieren. die fuer die installation vorgesehene position am kraterrand des schlammvulkans wurde beim letzten tauchgang ausgekundschaftet und mit einem 'marker' gekennzeichnet. der marker besteht aus einer kleinen box mit einem faehnchen. zusaetzlich wurden die koordinaten auf der digitalen posidonia-karte vermerkt, um das auffinden zu erleichtern.

beim heutigen tauchgang soll diese position angeflogen werden, um die automatische kamera abzusetzen und zu aktivieren. ueber eine drahtlose modem-verbindung zum rov koennen die wissenschaftler im quest-container dann sehen, ob die kamera richtig funktioniert und der bildausschnitt ihren vorstellungen entspricht.

wir tauchen ab, alles verlaeuft planmaessig. nachdem in der letzten nacht eine heftige stroemung an fahrzeug und kabel geruettelt hat, ist es heute vergleichsweise ruhig. der tiefenmesser zeigt 1.250 meter, waehrend der letzten 150 meter verlangsame ich die tauchgeschwindigkeit. das fier-tempo der winde wird ebenfalls angepasst. das 'doppler velocity log' (eine art akustischer geschwindigkeitsmesser) des quest reagiert ab einer hoehe von 25 metern ueber dem meeresboden und gibt die hoehe des quest ueber grund an. spaetestens jetzt muss man das fahrzeug behende abfangen, damit man nicht auf dem grund aufschlaegt. in einer hoehe von 2 metern stoppe ich das fahrzeug. ich aktiviere die 'auto-altitude' funktion. nun wird die flughoehe via automatik zentimetergenau gehalten.

zum glueck befinden wir uns bereits in unmittelbarer naehe zu unserer gestern markierten zielposition, wir erreichen sie nach wenigen minuten. fuer das aussetzen der kamera muss ich den quest auf dem meeresboden 'landen'. dazu schalte ich auto-altitude wieder aus und setze ganz langsam, zentimeter fuer zentimeter auf dem grund auf. da das fahrzeug durch seinen leuchtend roten auftriebskoerper immer nach oben gezogen wird, muessen die horizontalen thruster-propeller auch nach der landung weiterarbeiten. sonst wuerde der quest automatisch aufsteigen. ich atme auf, als mir eine 'weiche landung' gelingt. der meeresgrund besteht nicht aus einer harten oberflaeche, sondern aus feinsten sediment-ablagerungen. eine zu forsche landung wuerde dieses sediment aufwirbeln und fuer kostbare minuten die sicht trueben.

mittlerweile sind jerome und julien im container, sie begleiten den franzoesischen teil dieser mission. volker setzt die kamera mit dem quest-greifarm ('orion') an die ausgemachte position. nun muss sie getestet werden. hierzu wird via greifarm eine temporaere induktive verbindung ('modem') zwischen dem rov und der kamera hergestellt. die datenkommunikation funktioniert ueber eine der in das quest-kabel integrierten glasfaserleitungen. steuerbefehle und bilddaten koennen auf diese weise sicher uebertragen werden.

julien sitzt direkt hinter mir und hat seinen laptop auf dem schoss. er steuert von hier aus die kamera, die in 1.250 metern tiefe am meeresgrund steht. eine erste probeaufnahme wird gemacht. es dauert ca. zwanzig sekunden, bis die bilddaten auf dem bildschirm erscheinen. man ist noch nicht hundertprozentig mit dem bildausschnitt zufrieden, die kamera wird etwas umgesetzt. ein neuer test. erleichterte gesichter. die modemverbindung wird getrennt, die kamera ist nun autark und zeichnet gemaess ihrer programmierung bilddaten auf. jeden tag um 09:00 und 21:00 uhr eine zweiminuetige videosequenz. während einer neuen expedition im jahr 2010 wird die kamera wieder geborgen und offenbart der wissenschaft neue erkenntnisse.

gegen mitternacht dann die abloesung, michael uebernimmt meinen platz, volker bleibt noch etwas laenger im van. ich gehe zur seilwinde und setze mich noch eine weile zu anh und eberhard. die sonne steht kurz ueber dem horizont und taucht das arbeitsdeck in ein oranges licht. in sechs stunden klingelt der wecker.

→ Alle Bilder ansehen